Als Mama wünsche ich mir, dass Fotos mehr können als schön auszusehen. Ich wünsche mir, dass Fotos ein Mittel sind, dass ich mich eines Tages daran erinnern kann, wie unser Familienleben ausgesehen hat. Welche Spiele unser Sohn am liebsten hatte. Welche Hobbies wir gemeinsam geteilt haben. Wie unser Samstag zusammen aussah, bevor er als Teenager bis zum Mittag schlief. Und zugleich gibt es oft eine Scheu, eine Fotografin so nah ins eigene Leben hereinzulassen.
Die Sorge ist verständlich: Was passiert, wenn sehr intime oder ungeschönte Situationen festgehalten werden? Wenn das Kind seinen berühmten, intensiven Wutausbruch bekommt, weil die Schwester zuerst an der Spielzeugkiste war? Wie lässt sich sicherstellen, dass die Fotos nicht bloßstellen, sondern die Familie in Würde zeigen? Genau hier setzt die Frage nach Ethik in der dokumentarischen Familienfotografie an. Sie bedeutet, das Leben abzubilden, wie es ist – ohne Inszenierung, ohne Anweisungen – und dabei stets Verantwortung zu übernehmen für das was abgebildet wird.
In meiner Arbeit achte ich besonders auf sechs Aspekte, die mir helfen, dieser Verantwortung gerecht zu werden: Achtsamkeit, eine bewusste Bildauswahl, die Arbeit mit Kindern auf Augenhöhe, die besondere Verletzlichkeit im Wochenbett, die Schönheit im Alltag und das Abbilden von Beziehungen.
1. Achtsamkeit und Familienfotografie
Wer als dokumentarische Familienfotografin arbeitet, bewegt sich in einem sensiblen Raum. Die Kamera ist ein Werkzeug der Beobachtung, gleichzeitig kann sie auch eine Grenze überschreiten, wenn die Fotografin nicht empathisch darüber reflektiert, was sich gerade vor ihrer Kamera zeigt. Achtsamkeit bedeutet deshalb: genau hinzusehen, ohne zu bewerten, und dabei das Vertrauen der Familie nicht zu missbrauchen. Jeder Auslöser erfordert ein Innehalten: Ist dieses Foto nur interessant für mich, oder zeigt es etwas, das für die Familie selbst von Bedeutung sein könnte?
Um diese Frage im Sinne der Familie beantworten zu können, braucht es daher ein intensives Vorgespräch. Das erfolgt bei mir in zwei Schritten. Zuerst füllst du einen Fragebogen online aus. Als nächstes telefonieren oder zoomen wir, so dass ich genau weiß was euch als Familie wichtig ist. Dabei höre ich auf viele Details und stelle entsprechend Rückfragen. Erzählt mir beispielsweise ein Vater, dass es kürzlich einen Todesfall in der Familie gab, möchte ich wissen, welche Erinnerungsstücke von der Person in ihrem Zuhause präsent sind. So können diese Erinnerungsstücke auf dem ein oder anderen Bild auftauchen.
2. Bildauswahl – Fotos, die bewusst (nicht) ausgewählt werden
Nicht jedes gelungene Foto gehört in die finale Auswahl. Es gibt Aufnahmen, die zwar technisch stark sind, aber Momente abbilden, die zu verletzlich oder zu privat wirken. Als Fotografin ist es meine Aufgabe, nicht nur ästhetische, sondern auch ethische Entscheidungen zu treffen. Respekt bedeutet, bestimmte Bilder nicht zu zeigen, selbst wenn sie visuell eindrucksvoll erscheinen. Dokumentarische Familienfotografie erfordert also auch ein bewusstes Weglassen.
Das heißt konkret: Zeige ich ein Kind, das weint oder wütet? Oder verschiebe ich den Fokus und zeige stattdessen die Eltern, die diese Gefühle halten?

3. Meine Arbeit mit Kindern auf Augenhöhe und pädagogischer Erfahrung
Kinder sind keine Statisten im Familienleben, sondern zentrale Protagonisten. Ihnen begegnen bedeutet, sie ernst zu nehmen und ihnen dieselbe Würde zuzugestehen wie Erwachsenen. Meine pädagogische Erfahrung hilft mir dabei, auf Augenhöhe mit Kindern zu arbeiten. Es geht darum, ihre Perspektive einzubeziehen, ihr Tempo zu respektieren und ihre Reaktionen zuzulassen – auch wenn sie nicht „fototauglich“ im klassischen Sinn erscheinen.
Für meine Arbeit bedeutet das: Kontaktaufbau vor Fotografie. Ich werde deine Kinder nie einfach fotografieren, sondern erst ab dem Zeitpunkt, wenn wir in Verbindung sind. Ein Kind, das sich bewusst von der Kamera abwendet, wird nicht fotografiert oder bewusst überredet. Sein Körper deutet einen Grenze an, die unbedingt respektiert wird. Stattdessen vertraue ich darauf, dass jedes Kind mit mir warm wird, weil ich weiß wie es geht. Weil ich durch meine Arbeit als Logopädin weiß, wie Spiel und damit Kontaktaufbau funktioniert.

4. Wochenbett und besondere Verletzlichkeit von dir als Mama
Eine der intensivsten Zeiten, die ich in Familien begleite, ist das Wochenbett. In dieser Phase sind Eltern körperlich und emotional oft besonders verletzlich. Gleichzeitig entstehen in dieser Zeit intime und unverfälschte Momente, die für das Familiengedächtnis von großer Bedeutung sind. Hier trägt die dokumentarische Familienfotografie eine besondere Verantwortung: Es gilt, sensibel auf Grenzen zu achten und stets zu prüfen, ob ein Bild die Intimität wahrt, die der Moment verlangt.
Um das für dich rauszufinden, spreche ich zuvor mit dir ab: Was willst du zeigen, was nicht? Darf ich das Stillen festhalten? Möchtest du alle Aspekte deiner Mutterschaft festhalten- das kann für manche Mamas auch ihre eigene Pflege im Wochenbett bedeuten. Wichtig: Ich fotografiere so intime Momente niemals unabgesprochen.
5. Die Schönheit im Alltag – Wertschätzung für die kleinen Dinge
Dokumentarische Familienfotografie hebt das Besondere im Gewöhnlichen hervor. Es geht nicht um Perfektion, sondern um das ehrliche Abbild eines Tages. Gerade darin liegt eine stille Schönheit: ein kurzer Blick, eine kleine Geste, ein scheinbar nebensächlicher Moment. Diese Momente werden ohne künstliche Verklärung fotografiert – schlicht, echt und unverstellt.
Um das zu erkennen braucht es eine weitere Form der Achtsamkeit. Mit den Augen Details erkennen, die im Alltag gewöhnlich wirken. Festgehalten auf Fotos ihre Besonderheit erst völlig entfalten können. Das ist es, was ich sehr liebe. Was mich in den Flow meiner Arbeit bringt.
6. Beziehungen mit Fotos abbilden

Familien bestehen aus Beziehungen, und diese sind oft komplex. Fotos können Nähe, Distanz, Zuneigung oder auch Spannungen sichtbar machen. Aufgabe der dokumentarischen Familienfotografie ist es, diese Beziehungsgeflechte spürbar zu machen, ohne zu interpretieren oder zu dramatisieren. Ethik bedeutet hier: Bilder so zu wählen, dass sie den Menschen gerecht werden, die sie zeigen – nicht als Symbol, sondern als Individuen in ihren echten Beziehungen.
Viele der Familien, die ich bisher begleiten durfte, sagen mir deshalb wenn sie die Bilder sehen: Ja Sarah! Das sind wir! Endlich erkennen wir uns auf Fotos wieder!
Verantwortung in der dokumentarischen Familienfotografie als Teil der künstlerischen Haltung


Dokumentarische Familienfotografie verlangt mehr als technisches Können. Sie erfordert ein Bewusstsein dafür, dass jede Aufnahme eine Wirkung hat – auf die Abgebildeten, auf ihre Geschichte und auf die Erinnerungskultur einer Familie. Ethik bedeutet für mich, Menschen in ihrer Würde zu achten, auch dann, wenn sie sich im verletzlichsten Moment zeigen. Meine Arbeit ist damit nicht nur ein künstlerischer, sondern auch ein verantwortungsvoller Akt: ehrlich, respektvoll und immer mit dem Blick auf das, was für die Familie von Bedeutung ist.
Diese sechs Aspekte sind für mich mehr als Arbeitsmethoden – sie bilden meine Haltung als dokumentarische Familienfotografin. Sie sorgen dafür, dass Erinnerungen nicht verfälscht oder geschönt wirken, sondern authentisch sind. Familien können sich zeigen, wie sie sind, und sich vor meiner Kamera wohlfühlen, weil sie wissen: Da ist jemand, der ihre Geschichte mit Respekt erzählt. Dokumentarische Familienfotografie wird so zu einem sicheren Raum, in dem ehrliche Erinnerungen entstehen – Erinnerungen, die bleiben.




